Mein Leben in den ersten fünf Jahrzehnten – Episode 2

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15. April 1984 endlich achtzehn. Noch mitten in der Ausbildung, aber achtzehn!

Mein Stiefvater war seit fast sechs Jahren tot. Zu Hause gab es viele schlechte und wenig gute Zeiten. Meine Mutter war über Jahre auf einem Selbstfindungstripp, den sie wohl nie wirklich zu Ende gebracht hat. Zwei schwere Unfälle innerhalb von fünf Jahren, weil sie gesoffen hatte, wie ein Loch. Zweimal Notarzt in fünf Jahren, weil sie sich von den Lebenden verabschieden wollte.

Zeit das Leben selbst in die Hand zu nehmen. Ich wollte da raus.

Damit begann ich schon eine Woche vorher, ohne Zustimmung meiner Mutter, fuhr ich mit meinem besten guten Kumpel für ein paar Tage nach Benidorm (Spanien). Mit dem Auto versteht sich. Ich hatte keinen Führerschein und zweiundzwanzig Stunden die Aufgabe ihn wach zu halten. Eigentlich wollten wir am 14.04.1984 gegen Abend wieder in Richtung Deutschland fahren. Zufällig bekamen unsere Gastgeber jedoch mit, das ich am nächsten Tag volljährig wurde.

So gab es eine kleine entspannte Feier in den achtzehnten Geburtstag hinein und sehr liebe Worte zur Volljährigkeit. „Spätestens heute bist du für dich selbst verantwortlich. Nehme dein Leben in deine Hand und mache das Beste daraus.“ So die Worte von Pepe.

Gesagt getan, wir fuhren am 15.04.1984 gegen 01:00 Uhr los und waren pünktlich zum Abendessen um 22:30 Uhr in Frankfurt.

Leben ich komme! Es war ein entspannter Geburtstag, ohne viele Gratulanten, dies wollte ich mir für die Zukunft merken. Geburtstage entspannt zelebrieren und die Düse machen. Nicht verkriechen, jedoch den eigenen Geburtstag in irgendeiner Form zelebrieren. In einem Format, das ich mir wünsche, das ich möchte und das ich will. Okay, es muss nicht unbedingt im Auto von Spanien nach Deutschland sein.

Nun durfte ich endlich wählen gehen. Allerdings kam die nächste Wahl für mich erst am 25. Januar 1987, die letzte Bundestagswahl vor dem Mauerfall, was wir damals natürlich weder ahnten, noch wussten. Und am 05. April 1987, durfte ich gleich noch zur Landtagswahl in Hessen gehen.

Als Jugendlicher hatte ich bis zum achtzehnten Lebensjahr wohl alles angestellt, was man so anstellen konnte. Zwischendurch war meine Mutter erschüttert, was aus mir geworden war.

Mal brachte mich die Kripo oder Polizei nach Hause, nachdem ich dummes Zeug angestellt hatte. Oder mich brachte ein Krankenwagen nach Hause, weil ich an einer Alkoholvergiftung vorbei geschrammt war. Zwischendurch gab es auch mal einen Armbruch oder Nasenbeinbruch, weil ich etwas “übermütig” war.

Ehrlich gesagt, zwischen 13 und 17 Jahren konnte ich mich auch nicht immer so richtig leiden.

Meine Mutter hatte es mit mir nicht leicht und ich nicht mit meiner Mutter sowie ihrer Lebensweise und Kerlen.

Letztendlich war ich ein Produkt meiner Erziehung und meines Umfeldes.

Aber auch das ist wieder eine Geschichte, die hier den Rahmen sprengen würde.

In der Chronik steht:

15.4.1984
Mehr als 250 000 Australier demonstrieren gegen das nukleare Wettrüsten und gegen den Abbau und Export australischen Urans.

Geburtstage 15.04.1984
Vincent Marquis, kanadischer Freestyle-Skisportler
Janne Jalasvaara, finnischer Eishockeyspieler
Cam Janssen, US-amerikanischer Eishockeyspieler

Quelle: www.chroniknet.de

Stawi 2. Reihe, 2. von rechts. Erkannt?

Stawi 2. Reihe, 2. von rechts. Erkannt?

Zwanzig

15. April 1986 ich war im ersten Gesellenjahr als Glas- und Gebäudereiniger. Ich wollte die Welt erobern, retten und verändern.

Das ich reich werde mit dem job, glaubte ich damals schon nicht. Ich glaubte auch nicht an zukünftigen Reichtum, da ich damals meistens pleite war. Das „Elternhaus“ hatte ich ein halbes Jahr vorher mit einem großen Showdown verlassen.

Zwischendurch war ich sogar mal einige Zeit ohne festen Wohnsitz.

Dies ist jedoch eine ganz andere Geschichte, die ich heute unerwähnt lasse.

Der zwanzigste Geburtstag gehörte zu den Geburtstagen die ich irgendwie vergessen oder verdrängt habe. Ich habe bis heute keine Ahnung mehr was an dem Tag gewesen war und was ich erlebt habe. Wahrscheinlich hatten damals einige Gehirnzellen gelitten, da ich viel zu oft viel zu tief ins Glas geschaut hatte.

Das die nachfolgende Meldung, einer der Meldungen zu meinem zwanzigsten Geburtstag war, wusste ich bis heute auch nicht mehr.

15.4.1986
US-amerikanische Kampfflugzeuge bombardieren die libyschen Städte Tripolis und Bengasi, rd. 100 Menschen kommen ums Leben. Der Angriff gilt als Vergeltung für Terroranschläge auf US-Bürger.
Geburtstage am 15.04.1986
Hendrik Hahne, deutscher Fußballspieler
Maximilian Mehring, deutscher Fußballspieler
Calum Angus, englischer Fußballspieler

Fünfundzwanzig
Mit 25 Jahren, also am 15.04.1991 hatte ich dann meine mittlere Lebenskrise.

Seit drei Jahren engagierte ich mich im Technisches Hilfswerk (THW), obwohl ich davor bereits das Thema Wehrpflicht umschifft hatte.

Durch Anwalt und Gutachten erreichte ich eine Ausmusterung bei der Bundeswehr. Ich hatte bereits mit einundzwanzig meine erste Psychotherapie hinter mir und ein Stück meiner Kindheit aufgearbeitet.

Die Bundesrepublik Deutschland war wiedervereint.

Ich hatte das Gefühl, ich hätte nichts geschafft und nicht erreicht. Lebenskrise mit allen unschönen Seiten im Leben, die es nur geben kann.

Ich hatte bis dahin diverse glückliche und weniger spannende Beziehungen mit einigen Mädels. Sah mich irgendwo zwischen ein bisschen Bisexuell und total Schwul. Hatte jedoch noch nicht den richtigen Kerl gefunden. War verschuldet und chronisch pleite.

War unglücklich auf der Meisterschule in Frankfurt, die auch einen Haufen Geld kostete. Hatte seit anderthalb Jahren einen neuen Arbeitgeber, der mich forderte und mir wenig Freizeit ließ.

Ich brauchte einige Zeit, bis ich mich darauf besann, was ich in den letzen 25 Jahren alles geschafft und erlebt hatte. So schlecht war ich garnicht. Ich war bis dahin nur einen Tag ohne Arbeit. War gesund und hatte den Alkoholkonsum deutlich heruntergefahren.

Auf mein Umfeld bezogen, traf ich mich mit einigen “Freunden” nicht mehr. Die Zeiten von Partys und trinken bis zum umfallen waren nahezu abgeschafft.

Ich war aus meiner Sicht ein hilfsbereiter Mensch, der gerne anderen half. Und ich hatte viel zu viele Ideen im Kopf, die man gar nicht alle in den jungen Jahren umsetzen konnte. Da musste ich einfach realistisch zu mir selbst sein. Ich war oft ein wenig aufbrausend, was ich nun auch versuchte in den Griff zu bekommen.

Ich war ein von mir selbst getriebener junger Mensch. Einer der hohe Ansprüche und Erwartungen an sich selbst stellte. Meist höhere Erwartungen, als an seine Mitmenschen. Kein Mensch mit großen innovativen Ideen, jedoch ein Mensch, der tausend Ideen hatte um etwas umzusetzen.

Gerade Menschen aus meinem Umfeld, die ich damals in den vergangenen Jahren aus unterschiedlichen Gründen durch den Tod verloren hatte, gaben mir dir Kraft mein Leben in erneut in die Hand zu nehmen.

Dabei räumte ich erst in meinem Kopf und dann in meinem Leben auf. Ich ging strukturierter in den Tag und stellte dabei fest, dass ich einfach zu viel machte. Dies war natürlich auch ein Grund, dass ich in keiner festen Beziehung lebte. Die ich im Grunde genommen auch gar nicht wollte und keine Zeit hatte.

Ich wusste das ich schwul bin, jedoch war ich noch nicht bereit es hundertprozentig auszuleben und mich mit Intoleranz abzugeben.

Ich lebte in drei Welten gleichzeitig. Job – THW – Stawi privat, nahezu ohne Schnittstellen.

Ich übte das „NEIN“ sagen, was mir jedoch nicht immer gelang. Und ich verstand, warum mich einige „Erwachsenen“ noch immer nicht ganz so ernst nahmen. Ich wirkte jung und sah jung aus.

Am Abend meines 25. Geburtstages war ich in meiner damaligen Stammkneipe in Flörsheim. Bestellte ein paar Runden für meine Bekannten, da man das ja so an seinem Geburtstag macht.

Die Wirtin fragte: „Matthias, wie alt bist du geworden.“ Fünfundzwanzig“ meine ehrliche Antwort. Sie entgegnete: „Quatsch. Du bis maximal zwanzig. Schaue dich doch mal an. Erzähle mir keinen Unsinn.“

Nein, das war kein Kompliment für mich. Die Wirtin glaubte es mir erst, als ich meinen Personalausweis zeigte. Die Leute um mich herum waren alle um die zwanzig, da passte ich als „alter Sack“ so überhaupt nicht in das Gesamtbild.

Auch bei der Arbeit, erlebte ich es immer wieder, dass die Leute meinten: „Junge, was willst du mir erzählen?“ “Du bist ja noch grün hinter den Ohren.” “Du magst ja mein Chef sein. Ich jedoch habe die Lebenserfahrung.” etc. etc.

Ich sah jung aus, fühlte mich jung und hatte auch immer ein paar Flausen im Kopf.

Ich war halt ein jugendlicher Erwachsener, oder so. Leicht ist anders.

Stawi 1986

1987 in der Schweiz

Stawi April 1991

In der Chronik steht unter anderem:

15.4.1991
Die Regierung in Ankara öffnet ihre Grenzen für kurdische Flüchtlinge, die im irakisch-türkischen Grenzgebiet ausharren.

Und siehe da, Geboren wurde wieder ein zukünftiger Fußballspieler. Marco Terrazzino, deutscher Fußballspieler

Fortsetzung folgt…